Jede Menge Höhen und Tiefen
Bericht zum ING Night Marathon Luxemburg 31.05.2014
von Martin Treichel
Der Luxemburger an sich ist ein freundlicher Zeitgenosse: er spricht in aller
Regel fließend deutsch, englisch und französisch und ist gerne bereit, bei
Bedarf in die Sprache zu wechseln, mit der er vom Gegenüber angesprochen
wird. Er weist Fremden bereitwillig den Weg, serviert ausgezeichneten Kaffee
und tummelt sich noch zu später Abendstunde auf der Straße, um Frauen und
Männer in kurzer Hose anzufeuern.
Aber wenn es um den Parcours für einen Marathon geht, dann kennt der
Luxemburger weder Verwandte noch Gnade. Die Läuferinnen und Läufer werden auf
jeden Hügel, aber auch in jedes Loch geschickt, das Luxemburg zu bieten hat.
Davon konnte ich mich am gestrigen Samstag beim ING Night Marathon persönlich
überzeugen. Der Start erfolgte bei freundlichem Wetter und perfekten
Lauftemperaturen um 19 Uhr unter einem sonnigen Abendhimmel an der Lux Expo,
dem Messegelände am höchsten Punkt (!) der Stadt. Die ersten Kilometer ging
es permanent leicht bergab - Lauffreund Andreas Lohkamp und ich widerstanden
tapfer der Versuchung, zu schnell anzugehen und hielten uns diszipliniert an
die eigene Zeitvorgabe. Ab Kilometer 10 war dann Schluss mit lustig – fortan
ging es munter rauf und runter, viel um Ecken, gern mal über Bordsteine,
immer wieder Kurven, rein in jedes Stadtviertel und in einer großen Schleife
wieder raus. Lange Passagen ohne Zuschauerunter-stützung wechselten sich ab
mit fantastischer Stimmung an den „hot spots“ der Stadt: Menschen ohne Ende,
Sambagruppen, Blasorchester und immer wieder „allez, allez, allez“ aus
Tausenden Kehlen. Ich fühlte mich an Bilder von der Tour de France erinnert,
wo das Menschenspalier so dicht steht, dass immer nur wenige Fahrer
nebeneinander Platz haben.
Der Halbmarathon war nach knapp 1:42 Stunden erreicht, allmählich kroch die
Dunkelheit in die Stadt und die Müdigkeit in die Beine. Dann aber setzt der
Luxemburger Marathonstreckenplaner erst zu seinen richtigen Gemeinheiten an –
bei Kilometer 30 läuft man buchstäblich ins Loch, den Luxemburger „Grund“ –
für die Beine geht es schwindel-erregend abwärts, während der Kopf sagt:
„Hier musst Du irgendwann wieder raus – und das geht nur bergan.“ So lief ich
ein paar Kilometer tapfer durchs Loch, holte mir in der Altstadt nochmal die
Unterstützung euphorisierter (z.T. aber auch alkoholisierter) Fans, ehe der
finale Schrecken wartete: sechs Kilometer bergan, zurück zur Messe, auf einer
einzigen langen, nicht enden wollenden Gerade, der „Kennedy-Avenue“. Mein
Engel nahte von hinten in Gestalt des 3:29-Tempomachers und mein Kopf sagte
zu meinen lahmen Beinen: „An den hängst du dich jetzt dran, solange und so
gut es geht.“ Und es ging tatsächlich bis zum letzten Meter. Und als
Entschädigung für die kleinen Grausamkeiten hat sich der Luxemburger einen
formidablen Zieleinlauf ausgedacht: Fackeln an der Straße und dann einen
spektakulären Einlauf mit Lichtshow in die Messehalle. Meine Uhr blieb bei
3:29,11 stehen.
Große Erschöpfung und großer Stolz, als kurz darauf auch Andreas das Ziel
erreichte. Während wir uns müde zu den Duschen schleppten, entspann sich ein
kleiner, feiner Dialog mit einer anderen Läuferin, die wörtlich sagte: „Auf
dieser Strecke würde ich niemals laufen, viel zu hart. Aber ich bin
Luxemburgerin und hatte einen Freistart. Was blieb mir übrig?“
Nach kurzer Nacht am Sonntagmorgen Siegerehrung beim „InterFaith“, der
Sonderwertung für Geistliche aller Konfessionen und Weltreligionen.
Herausragender Sieger wurde Matthias Vosseler, Pfarrer aus Stuttgart, der in
2:48 Stunden nur den eingekauften Afrikanern den Vortritt lassen musste. Aber
da ich die Sikhs aus London und die muslimischen Gefängnisseelsorger aus
Holland auf Distanz halten konnte, sprang für mich immerhin Platz 2 und somit
die „Pfarrer-Vizeweltmeisterschaft“ heraus.
Noch wichtiger allerdings: für mein Spendenprojekt „amnesty in Bewegung“
kamen bislang schon über 1.800 € zusammen – schon allein aufgrund dieser
Unterstützung habe ich während des Rennens keinen Moment daran gedacht, im
„Loch“ einfach stecken zu bleiben. Vielen Dank an alle!
Wer eine Spende zugesagt, aber diese noch nicht überwiesen hat, erledige dies
bitte in den kommenden zwei Wochen. Dafür gibt es zwei Möglichkeiten: Die
Spende kann entweder direkt online über diesen link getätigt werden:
https://www.amnesty-in-bewegung.de/projekt/2014/interfaith-marathon
(dann der gelb hinterlegte Hinweis „Für Projekt spenden“) oder auf mein Konto
überwiesen werden, von dem aus ich das Geld dann weiterleite.
Der Luxemburg-Marathon war mein 20. Insgesamt – und hoffentlich nicht mein
letzter. Wie hieß der Spruch im Ziel? „Enjoy your pain – you’ve earned it!“
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Martin mit dem schnellsten Pfarrer der Welt,
Matthias Vosseler aus Stuttgart (2:48)
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