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Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 07.02.08
Artikel von © Alfons Kaiser

Ein Mann will nach oben

Thomas Dold siegt zum 3. Mal beim New Yorker Treppenlauf
 

Der Start ist chaotisch. Die erste Reihe lehnt sich nach vorn. Der Richter gibt mit dem Horn sein Signal, das wie eine Feuerwehrsirene durch die Marmor- und Chromhallen donnert. Die Arme der Läufer fliegen auseinander, die Körper neigen sich nach rechts, nach links, blockieren, suchen Halt, stoßen sich ab. Dold und Jahn Schulter an Schulter, sofort in Führung. Nur noch ein paar Meter bis zur offenen Stahltür. Gasperi stürzt! Die Zuschauer stöhnen. Dold stürmt ins Treppenhaus, Jahn hinterher, Gasperi rappelt sich auf, da ist der Eingang schon verstopft, und er muss anstehen.

Marco Gasperi, der größte Gegner, auch ein Mann aus dem Gebirge, aus den italienischen Alpen. Den Treppenlauf in Taipeh hat er gewonnen. In New York ist er zum ersten Mal, und das ist sein Schicksal. Thomas Dold, in Taipeh Zweiter, und Matthias Jahn kennen sich hier aus: „New York hat seine eigenen Regeln.“ Jetzt hat auch Gasperi gelernt. Am Ende, nach 86 Stockwerken Aufholjagd, auf Platz sieben, bleibt ihm immerhin der Trost: „Nächstes Jahr laufe ich wieder. Dann sehen wir weiter.“

Das Müsli haben sie aus Deutschland mitgebracht
Ihr Trainingslager haben sie im Hotel Milford Plaza aufgeschlagen. Am Abend vor dem Lauf sitzen Thomas Dold und Matthias Jahn in Zimmer 1659, Blick auf den Hudson, wenn man denn hinausschaut und nicht in sein Schinken-Sandwich beißt, wie Dold, oder am Laptop die Website aktualisiert, wie Jahn. Im Fernsehen laufen die Simpsons. Auf den Betten die Sportklamotten, auf dem Schrank die Müslipackungen für morgen früh, aus Deutschland mitgebracht. Um halb zehn Uhr in der Früh werden sie mit 169 weiteren Männern und 64 Frauen im Erdgeschoss des Empire State Building stehen, vor 86 Stockwerken, vor ihrem Anspruch, am schnellsten die 1576 Stufen auf die Aussichtsplattform des höchsten Hochhauses in New York hinter sich zu bringen. „Ob ich gewinne, hängt nicht von mir ab“, meint Dold, „sondern ob die anderen besser oder schlechter drauf sind.“ Da spricht er noch von Gasperi.

Eigentlich darf nichts schiefgehen beim Lauf aufs Dach der Neuen Welt. Optimistischer als die beiden bekanntesten deutschen Treppenläufer, die sich im Touristenhotel an der achten Avenue auf den Treppenlauf der Läufe vorbereiten, sind an diesem Abend nicht einmal die Anhänger der New York Giants, die am Tag zuvor den Super Bowl gewonnen haben, und erst recht nicht die Anhänger der Präsidentschaftskandidaten, die dem Super Tuesday entgegenzittern. Dold, leicht schwäbelnd, und Jahn, der ein bisschen stiller ist, Zweiter eben, lachen und scherzen, als gingen sie morgen nur zur Konfettiparade der Giants. Dabei gibt es wichtigeres im Leben. Der „Empire State Building Run Up“ nämlich, vor dreißig Jahren erfunden, ist – vor Wien und Taipeh – der bekannteste Treppenlauf der Welt. Einmal, im Jahr 2005, war Dold Zweiter. 2006 und 2007 war er Erster, Jahn brachte es erst auf den fünften, dann auf den zweiten Platz. Warum nicht noch einmal genauso gut?

Mit Sondergenehmigung auf den Main Tower
„Wir sind hier erfahren, das gibt Sicherheit“, meint Matthias Jahn. „Als ich das erste Mal hochgelaufen bin, habe ich oben eine Sekunde angehalten wegen des Blicks – ich war so baff. Das passiert mir jetzt nicht mehr.“ Monatelang haben sie sich vorbereitet. An den Wochenenden fahren sie gemeinsam nach Frankfurt – der 24 Jahre alte Jahn aus München, wo er arbeitet, der 23 Jahre alte Dold aus Stuttgart, wo er Wirtschaftswissenschaften studiert. Mit Sondergenehmigung laufen sie die 1090 Treppenstufen des „Main Tower“ hinan. „Aber drei Mal“, sagt Jahn, „weil es nicht so hoch ist.“ Wenn sich während des Trainings ein Fachfremder ins Treppenhaus verirrt, hört er nur ein rhythmisches Keuchen und das Surren des Geländers, an dem sich die Läufer hochziehen und entlang hangeln. Man könnte die Vorbeihuschenden für Gespenster halten.

Die Idee mit dem Treppenlauf kam ihnen 2002. Jahn stammt aus der Rhön, Dold aus dem Schwarzwald – da will man nach oben. In der Berglauf-Nationalmannschaft lernten sie sich kennen. Ein Trainer erzählte ihnen, dass er nach dem Berglaufen mit dem Treppenlaufen begonnen habe. „Der war dafür um die halbe Welt gefahren“, sagt Dold. „Und ich dachte: Hallo?! Ich war 18 und kaum aus Deutschland rausgekommen.“ Dold flog nach Wien, um mit guter Platzierung zum New Yorker Rennen eingeladen zu werden. Flug, Hotel, 30 Dollar Startgebühr – und er war dabei. Seitdem zählen sie an Hochhäusern von außen die Stockwerke und gucken sich Treppenhäuser gern genauer von innen an. Sie sind die einzigen deutschen Treppenläufer mit Homepage, sie betreiben den Sport professionell und wenden ihr Studienfach Marketing im wirklichen Sportlerleben an, wenn sie mit den Sponsoren verhandeln.

Auch im Rückwärtslaufen ist er gut

Und sie stiegen in einer Zeit auf, die seltsame Extremsportarten wie Bungee-Jumping, Skydiving oder Fassadenkletterei liebt. Aber sie sind keine „daredevils“, die das Schicksal herausfordern, sondern Leichtathleten, die gern an ihre körperlichen Grenzen gehen. Und das bitte möglichst originell: Thomas Dold hat auch mehrere Weltrekorde im Rückwärtslaufen aufgestellt. Inzwischen erfasst der Sog der Treppenhäuser ganz Deutschland. In Stuttgart, Berlin, Frankfurt, Hamburg wollen die Menschen nach oben, sogar in Städten, die nicht gerade für ihre Türme bekannt sind, in Kassel, Rostock, Wolfsburg. Die Szene auf der ganzen Welt wächst wie die Hochhauslandschaft. Zum größten Treppenlauf der Welt in Taipeh kommen 2500 Teilnehmer.

„Eine bessere Werbung für ein Hochhaus kann es kaum geben“, sagt James Connors, der Geschäftsführer des 1931 eröffneten Empire State Building, das nur zu Zeiten des World Trade Center das zweithöchste Gebäude New Yorks war. Es ist Dienstag morgen, Super-Dienstag. Connor, superkorrekter Händedruck, superverbindliches Lächeln, freut sich über „das größte Marketingevent des Jahres für uns“. Um ihn herum Männer, die am Ellenbogen den Arm an den Körper ziehen, Frauen, die auf dem Boden liegen und mit den Händen die Beine anziehen, Senioren, die sich mit kurzen Sprints warmlaufen. Christa Hartmann, 65 Jahre alt, aus Karlsruhe stammend, die sich gerade fit macht, wird den Lauf immerhin in 23 Minuten und 40 Sekunden schaffen, schneller als viele Männer.

Noch streben nur ihre Haare nach oben
Thomas Dold und Matthias Jahn sind ein wenig gelaufen heute morgen um kurz nach sechs, „wach werden“, haben ihr Müsli gegessen, im Zimmer herumgehangen. Jetzt ziehen sie ihre Schuhe an, 155 Gramm, auch die dürfen nicht viel wiegen. Sie sind nervös, gehen hin und her, blicken ins Leere. Noch streben nur ihre Haare nach oben. Dold hört Dance-Musik über Ohrenstöpsel, „Sympathy“ von „Silver“. Auf den Shirts die Aufdrucke der Sponsoren. Markus Zahlbruckner aus Linz in Österreich, 39 Jahre, Familie, selbständig, kann nicht so viel trainieren wie die beiden – und wird trotzdem als Achter ins Ziel gehen. „Thomas Dold ist ein richtiger Deutscher“, meint Zahlbruckner. „Er bereitet sich akribisch vor, und er platzt vor Ehrgeiz.“

Kaum sind die Frauen gestartet, sind die beiden an der Startlinie. Fünf Minuten nach den Frauen starten die besten Männer, wiederum fünf Minuten später die anderen. Der Start läuft gut für die beiden, Thomas Dold sieht das ganz wirtschaftstheoretisch: „Ist wie beim homo oeconomicus: Jeder macht für sich das Beste, und das ist das Beste für alle.“ Der Weg nach oben ist mühsam, die Treppe ist der steilste Berg. 30 Prozent Steigung in den Bergen sind schon viel, bei Treppen sind es 45 Prozent. Im Fluchttreppenhaus ist die Luft nicht wie im Gebirge, die Kehle ist schon auf halber Strecke trocken. Die ersten 20 Stockwerke gehen ganz gut, auf dem 20. wird das Treppenhaus gewechselt, dann wird es eintönig, bis im 64. Stock wieder die Treppe gewechselt wird. Auf dem Weg nach oben müssen die schnellsten Männer von den Dreißigern an viele Frauen überholen. „Da ist dauernd was los“, hatte Dold gesagt. „In Taipeh dagegen geht es immer nur eintönig nach oben, nur die Stockwerknummern ändern sich – da ist mentale Stärke gefragt.“

Maßgeschneiderte Kompressionsstrümpfe
Dieses Mal ist alles wie immer. In den ersten Stockwerken sind viele nah dran. Dann werden die Abstände größer, nur die beiden bleiben zusammen, wie im Training in Frankfurt. Jetzt zahlt sich die Übung aus. Dold, mit 70 Kilogramm schwerer als Jahn, hat so dicke Waden vom Training, dass er beim Lauf maßgeschneiderte Kompressionsstrümpfe trägt – normale passen ihm nicht. Mit den kräftigen Armen ziehen sie sich am Geländer hoch, die Hände haben davon Schwielen. Sie nehmen immer zwei Stufen, eine würde zuviel Zeit, drei würden zuviel Kraft kosten. Und dann passiert es doch: Jahn muss in den späten Zwanzigern Rickey Gates aus Boulder in Colorado passieren lassen, der meist nur in den Bergen übt, weil er nicht immer extra nach Denver fahren will. Und Dold glaubt in den Augenwinkeln auf den letzten Stockwerken einen Verfolger zu erkennen und legt noch zu.

Und da kommen sie! Die Journalisten sind schon mal per Expressaufzug vorausgefahren. Auf der Aussichtsplattform ist es neblig, windig, kalt. Irgendwo da unten beginnt gleich die Konfettiparade, und auf dem Weg nach unten wird der Fahrstuhlwächter sagen: „Und vergesst nicht zu wählen!“ Da kommen sie! Erst Suzanne Walsham aus Singapur, die Beste der Frauen, 12 Minuten 44 Sekunden, dann ein paar weitere Frauen, und dann, nach 10 Minuten 8 Sekunden, Thomas Dold, mit Tunnelblick, läuft ins Zielband, bricht zusammen, bleibt liegen, einer richtet schon die Sauerstofflasche her, eine ruft „you’re o.k! you’re o.k.!“, Rickey Gates hält seine Hand. Aber er kommt mühsam wieder auf die Beine, der dritte Empire-State-Sieg in Folge. Jahn Dritter mit 10 Minuten 56. Etwas zu trinken, Dutzende Interviews, Siegerehrung mit dem Empire State im Miniformat. Ein paar Bilder noch mit Deutschlandflagge, dann rennen sie über den Times Square zurück ins Hotel, bitte bis ein Uhr auschecken. Vorher noch die Website aktualisieren, ein paar Anrufe nach Hause, packen, zum Flughafen, ausnahmsweise mal kurz zu McDonald’s, ab nach Hause. Das Leben läuft weiter.

copyright Text: F.A.Z. Alfons Kaiser

Links:
Thomas Dold website

Matthias Jahn website
 

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