Artikel von © Michael Reinsch, Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 22.09.2001 Martina
Kärcher läuft, um atmen zu können |
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BERLIN. Als Martina Kärcher
zum zweiten Mal die Silbermedaille im 400-Meter-Lauf
gewonnen hatte, verfaßte sie darüber einen Artikel. Als schönstes
Erlebnis des Sportfestes in Budapest beschrieb sie nicht ihren
sportlichen Erfolg. Als sie im Ziel den Teilnehmern eines anderen Laufes
applaudierte, erinnert sie sich, „kam ein schweißgebadeter
argentinischer Läufer auf mich zu und nahm mich in seinem Rausch des Glücks
mit Tränen in den Augen einfach so in die Arme".
Diese spontane Herzlichkeit, diese Fähigkeit, Glück zu teilen, seien
es, was sie an diesen Spielen so schätze. Es waren die Weltspiele der Transplantierten. Laufen
zu können, Rad zu fahren, Badminton spielen und steppen zu können, das
ist für Martina Kärcher natürliches Bedürfnis und vitaler Ausdruck,
die Freiheit des Lebens in Anspruch nehmen zu können. Und es ist ein
Riesenschritt in die Normalität.
Foto: Holde Schneider „Mukoviszidose war nicht mein Leben",
behauptet Martina Kärcher. Aber die Krankheit, die ihre Opfer erstickt,
war fast ihr Tod. Am 11. Dezember 1995
wurden der 23 Jahre alten Frau zwei Lungenflügel transplantiert
und eine Niere dazu. Krankheitsbedingte Unterernährung hatte sie auf 37
Kilogramm abmagern lassen. „Weihnachten hätte ich nicht mehr erlebt",
sagt sie. Ein Krankenhaus weigerte sich damals sogar, sie zu operieren.
Die Erfolgsaussicht war zu gering. An
diesem Wochenende, fast sechs Jahre später, wird sie als die am meisten
Aufmerksamkeit erregende Teilnehmerin eines Berliner Langlaufes namens „Lung
Run" erwartet. Er ist eine Begleitveranstaltung der europäischen
Jahrestagung von 12000 Lungenfachärzten in Berlin, mit der diese auf
das empfindliche Organ Lunge aufmerksam machen wollen. Durch Krankheit,
durch Umwelteinflüsse und durch ungesunde Lebensweise kann es beeinträchtigt
werden. Alle acht Sekunden stirbt ein Mensch an den Folgen des Rauchens,
verbreitet die Europäische Gesellschaft für Lungenheilkunde (ERS).
Martina Kärcher will die fünf Kilometer durch den Grunewald
mitlaufen. Am Wochenende darauf plant sie, am Frühstückslauf vor dem Berlin-Marathon
teilzunehmen. Nur eine Verstärkung ihrer Bronchitis,
bei schlechtem Wetter zu befürchten, könnte sie daran hindern. Seit
der Transplantation muß die junge |
Zwei Monate blieb sie im Krankenhaus. Bloß nicht
krank werden, heißt ihre Devise, bloß durchhalten beim Formaufbau. Im
kommenden Jahr möchte sie einen Halbmarathon, mehr als 21 Kilometer,
bestreiten. Der einzige Sieg, den sie dabei anstrebt, ist der in der
Wette mit ihrem Arzt. Der
lobt sie dafür. „Sie macht das einzig Vernünftige", sagt der
Mediziner Ralf Ewert von der Universitätsklinik
Greifswald, „durch Bewegung Knochenschwäche und Muskelschwund
aufzuhalten." Privatdozent Ewert hat die junge Läuferin lange in
Berlin betreut. Manchmal ruft sie an und überrascht ihn mit der
Mitteilung, daß sie die beiden für einen Langlauf angemeldet habe.
„Sie hat so viel Lebensmut, daß durch Sport ihre Lebensqualität
weitgehend vergleichbar ist mit der Gleichaltriger", sagt Ewert. Ohne
Krankheit, davon ist Martina Kärcher überzeugt, wäre sie nicht
Kauffrau, sondern Leistungssportlerin geworden. Als
Mädchen war sie, obwohl bereits Mukoviszidose diagnostiziert worden
war, die Beste ihrer Schulstaffel im Schwimmen bei „Jugend trainiert für
Olympia". „Für mich wäre es das Schlimmste,
keinen Sport mehr zu treiben", sagt sie. Mukoviszidose zwingt viele Menschen zu Leistungssport besonderer Art. Mit Physiotherapie kämpfen sie, neben antibiotischer Behandlung und Ernährungstherapie, darum, den lähmenden, tödlichen Schleim abhusten und atmen zu können. Für viele muß das wie Sklavenarbeit sein. Seit Anfang der achtziger Jahre setzt sich die Erkenntnis durch, daß Sport ebenfalls positiv wirkt. „Es gibt Hinweise, keine Beweise, daß Patienten länger leben, die leistungsfähiger sind", sagt der Pulmologe Helge Hebestreit von der Würzburger Uni-Kinderklinik. Er verweist auch in seinen Veröffentlichungen auf eine Studie, welche acht Mukoviszidosepatienten im Alter von sechzehn Jahren galt. Vier der Jungen begannen ein Marathontraining. Ihre Lungenfunktion blieb über acht Jahre stabil, was bei dieser Krankheit ein Erfolg ist. Aus der anderen Gruppe waren nach acht Jahren drei gestorben. Inzwischen
glauben Mediziner, daß auch Fußball und sogar sorgfältig angeleitetes
Krafttraining zur Stärkung der Konstitution und der Lunge und damit zur
Erhöhung der Lebenserwartung beitragen -einer Lebenserwartung, die vor
zwei Jahrzehnten noch unter 18 Jahren lag. Neunzig Minuten pro Woche
sollen schon Wirkung haben. Privatdozent Hebestreit und Kollegen haben
eine große Studie in Angriff genommen. Der Würzburger Mediziner will
unter anderem beweisen, daß langfristig freiwilliger Sport
wirkungsvoller ist als verordnetes Programm. „Wie alles bei
Mukoviszidose ist auch das eine Frage der Motivation", sagt er. Der
Selbsthilfeverband Mukoviszidose e.V. mit Sitz in Bonn wird noch in
diesem Jahr eine große Tagung über die Krankheit und Sport abhalten. Für Martina Kärcher ist das keine Überraschung. Wenn früher Übungen zur autogenen Drainage anstanden, ist sie lieber scharf den Geisberg hinterm Haus hochgewandert, um denselben Effekt zu erzielen: durchatmen zu können. Und als Ärzte, die ihr von der Transplantation abgeraten hatten, ihr empfahlen, vorsichtshalber auch von Bewegung zu lassen, sagte sie: „Jetzt zeige ich es euch erst recht." Für die Pulmologen in Berlin ist sie eine Vorzeigepatientin. © MICHAEL REINSCH |
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