Artikel von Steffen Gerth, entnommen der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, 15.05.2001

 

FRANKFURT. Vor acht Monaten, am 17. September 2000, war Stephan Vuckovic der „glücklichste Zweite der Spiele". So tanzte er damals über die Ziellinie von Sydney, und so berichteten es die deutschen Reporter nach Hause. Der kahlköpfige Mann aus Reutlingen war bei der olympischen Premiere des Triathlonwettbewerbes zur Silbermedaille gestürmt und wurde im Ziel beinahe ohnmächtig vor Glück. Doch der Rausch ist längst verflogen. Heute ist dieses Gefühl von einer gewissen Ernüchterung abgelöst worden.

Das Weltcuprennen über die olympische Distanz am Sonntag in der französischen Stadt Rennes, das eigentlich eine Standortbestimmung hatte werden sollen, mißglückte gründlich. Beim Schwimmen über 1,5 Kilometer behielt Stephan Vuckovic nur 700 Meter lang Tuchfühlung zur Spitze, es folgte eine 40 Kilometer lange Verfolgungsfahrt auf dem Rad — bis dann beim Laufen der Körper seinen Dienst versagte. 10 Kilometer lang ist das abschließende Stück auf dieser Distanz, Vuckovic beendete das Rennen aber bereits nach anderthalb Kilometern. Der Rücken, die Oberschenkelmuskulatur - alles tat furchtbar weh.

Vorne rannte der Neuseeländer Craig Walton (1:45,45 Stunden) auf Platz eins. Daß der Olympiazwölfte Andreas Raelert (Rostock) den achten Platz belegte (1:46,52), hat Vuckovic gefreut. Es könnte ihn allerdings auch nachdenklich gestimmt und seine Meinung über die Trainingsarbeit der Kaderathleten bei der Deutschen Triathlon Union (DTU) geändert haben. l Beim Weltcup in St. Petersburg (US-Bundesstaat Florida) am 28. April waren die DTU-Männer noch hinterhergelaufen, und Vuckovic fühlte sich darin bestätigt, daß er seit vorigem Jahr seinen eigenen Weg geht. Doch jetzt muß er diesen Weg erst einmal überdenken.

Gleich morgen wird er nach Bremen fahren, zu Dr. Rüdiger Hartmann. Wieder einmal. Schon im März benötigten der malträtierte Rücken und die entzündete Oberschenkelmuskulatur Pflege, einen ganzen Monat hat Stephan Vuckovic in der Saisonvorbereitung verloren. 200 Kilometer und mehr in der Woche ist er zuvor im Trainingslager auf Lanzarote gelaufen, nur auf Asphalt. „Das war bestimmt nicht so gut." Das sollte man meinen, aber Laufen ist nun einmal der Schwerpunkt in der Trainingsgestaltung bei Vuckovic.

Seit ihm Thomas Springstein, der Coach der 400-Meter-Läuferin Grit Breuer, die Pläne schreibt, trainiert der Triathlet das Laufen wie ein Spezialist. Springstein hat auch im vorigen Jahr ' dafür gesorgt, daß sich der frühere talentierte Lebemann zum besessenen Hochleistungssportler gewandelt hat, der heute gut vom Triathlon leben kann. Ansonsten waren für den Magdeburger Trainer die Dreikämpfer eigentlich nur „Volkssportler mit einer geisteskranken Wettkampfplanung", wie er die Branche einmal bezeichnet hat.Nun hat der ostdeutsche Zuchtmeister Springstein, unterstützt vom Magdeburger Schwimmtrainer Lutz Wanja, den Athleten zur Silbermedaille getrieben - also kann alles nicht schlecht gewesen sein. Oder? Eine Verletzungsserie stimmt ihn heute nachdenklich. Grit Breuer konnte in Sydney wegen massiver Bandscheibenprobleme nicht starten. Anja Dittmer, Triathlon-Europameisterin von 1999, Vuckovics Freundin und seit diesem Jahr ebenfalls Springstein-Schülerin, laboriert derzeit an einem Ermüdungsbruch im Mittelfuß. Stephan Vuckovic hat schon erkannt, daß zumindest in seiner Trainingsgestaltung „irgendwas schiefgelaufen sein muß". Also:Es müssen Korrekturen stattfinden." In der Woche rennt er im Moment 150 Kilometer, bis zu 35 Kilometer werden nach den Plänen des Magdeburger Schwimmtrainers Thomas Ackenhausen geschwommen - dem gegenüber stehen nur 300 Kilometer Radfahren.

Natürlich erfordert die moderne Kurzstreckenvariante des Triathlons, bei dem das windschattenunterstützte Radfahren eine untergeordnete Rolle spielt, eine andere Trainingsgestaltung - aber was ist, wenn Vuckovics Körper dieser dualen Belastung nicht gewachsen ist? Gewaltige Gewichte läßt Springstein seinen Schützling im Kraftraum stemmen - möglicherweise wurde aber vergessen, daß niemand schnell rennen kann, wenn er eine schwache Rumpfmuskulatur hat, die den Körper in einer aufrechten Position hält und die Stoßbelastung beim Laufen abfedert. „Ich werde wohl jetzt schleunigst meine Bauchmuskeln trainieren", kündigt Stephan Vuckovic an. Die Zeit drängt auch, denn es sind nur noch vier Rennen, bei denen sich der Olympiazweite sehen lassen will. Die deutschen Meisterschaften in Frankfurt (10. Juni) nimmt er dabei in erster Linie wahr, um für seinen Schuhsponsor Werbung zu laufen, passend zu seinem Verhältnis zur DTU, das er als „neutral bis gut" bezeichnet. Noch wartet er auf die Prämienzahlung seitens des Verbandes für das Olympia-Silber. Er erwartet einen „hohen fünfstelligen Betrag", der im umstrittenen Athletenvertrag von 1997 fixiert worden war. Der Verband hält sich offenbar an die Sätze in einem neuen Papier, das Vuckovic im vorigen Jahr unterschreiben mußte, „sonst hätte ich nicht nach Sydney gedurft".

Am 23. Juli, bei den Weltmeisterschaften über die olympische Distanz in der kanadischen Stadt Edmonton, „will ich aufs Treppchen", sagt Vuckovic. Davon ist er noch weit entfernt. Auf Platz 80 der Weltrangliste steht der 28jährige Athlet derzeit, die ersten 50 bekommen eine Startgenehmigung für Edmonton - schlimmstenfalls müßte er als Silbermedaillengewinner auf das Angebot einer Wildcard zurückgreifen. Ob es was nützt? Denn gemessen am Wettkampf in Rennes gilt für Stephan Vuckovic derzeit das Mindestziel aller Triathleten: Ankommen.        

 STEFFEN GERTH