entnommen der WAZ, Ruhrgebiet, 13.10.01


 

Marathon-Mann: Laufen ist mein Leben

Von Thomas Lelgemann


WAZ Essen. Der Marathonlauf des Tusem Essen "Rund um den Baldeneysee", der am Sonntag um 10 Uhr beginnt und erstmals von der WAZ präsentiert wird, ist mit 39 Auflagen der traditionsreichste in Deutschland. Mit 26 Starts hält Georg Wagner den Teilnahmerekord in Essen.


Marathon-Mann und Rekordhalter Georg Wagner trainiert für den traditionsreichen Lauf "Rund um den Baldeneysee". Mit 26 Starts hält der 66-Jährige den Teilnehmerrekord.

WAZ-Bild: Arnold Rennemeyer

Kaum zu glauben, dass dieser Mann schon 66 Jahre alt ist. Sicher, das Haar ist nicht mehr ganz voll und auch mehr weiß als schwarz, aber wenn Georg Wagner seine Gymnastikübungen mit der Elastizität eines Balett-Tänzers macht, sieht man sofort, der Mann ist fit. Von den Haarspitzen bis in die Laufschuhe. Sport hält jung. Georg Wagner ist die laufende Antithese zu Churchills "no sports". "Laufen ist mein Leben", gibt der Gelsenkirchener zu. Und wenn er dann von seinen Erlebnissen erzählt, sprudelnd, die Hände zu Hilfe nehmend, dann blitzen die Augen vor Begeisterung. "Klar, irgendwie bin ich schon ein verrückter, aber auch ein harter Hund. Meine Frau hat mich auch schon gefragt, warum tust du dir das an. Die Antwort ist ganz einfach. Es macht mir riesigen Spaß."

Mittlerweile finden immer mehr Leute Spaß am Marathon. Weit über 100 000 Hobbyläufer nehmen bei den Herbst-Marathons einen Anlauf, einmal nach 42 195 Metern ins Ziel zu kommen. Den inneren Schweinehund an die Kette zu legen, dieser Herausforderung stellen sich immer mehr Leute. Georg Wagner hat sich diesen Traum schon längst erfüllt. Erstmals 1972. Und dann immer wieder. Weit über 100 Mal hat er einen Marathon beendet. Wieviele genau, das weiß er gar nicht. "Irgendwann habe ich aufgehört zu zählen. Ich weiß nur, wieviel 100-Kilometer-Läufe ich bereits gemacht habe. Sieben", sagt er, als ob er vom letzten Sonntagsspaziergang über vier Kilometer erzählt. Unter acht Stunden ist er die 100 Kilometer schon gelaufen. Seine Marathonbestzeit hat er 1982 aufgestellt. 2:43 Stunden mit 47 Jahren: eine Klassezeit. Im letzten Jahr wurde er in 3:29 Stunden beim Köln-Marathon Westdeutscher Vizemeister in seiner Altersklasse. Hinter ihm viele, viele tausend, erheblich jüngere Läufer.

Wagner ist ein Phänomen. 40 Jahre hat er auf der Zeche gearbeitet, zuletzt in Westerholt. 38 davon unter Tage. Kohle gemacht, Schächte abgeteuft - und nach Feierabend in die Laufschuhe gestiegen. Wenn Georg Wagner von der "Maloche auf´m Pütt" erzählt, klingt trotz aller Beschwerlichkeiten der typische Stolz des Ruhrgebiets-Bergmanns heraus. Die Zeche hat ihn eine größere Karriere gekostet. "Mein Vater ist schon 1946 gestorben. Ich hatte keine andere Wahl, ich war der Haupternährer der Familie", erzählt er, "aber der Staub hat mir glücklicherweise nicht so viel zu schaffen gemacht. Ich war immer ein Nasenatmer."

Mehr als der Staub hat ihm der fehlende Schlaf ausgemacht. "Wenn ich im Förderkorb eingefahren bin, habe ich mich an der Kette festgehalten und ein kleines Nickerchen gemacht. Ich schlafe für mein Leben gern." Nicht nur auf dem Pütt. "Die 100 Kilometer von Biel werden nachts gelaufen. Da bin ich einmal beim Wechseln der Schuhe eingenickt."

Sonntag beim Tusem-Marathon will Georg Wagner ausgeschlafen sein. In New York, in Berlin oder in Wien ist er gelaufen, doch den Essener Marathon schätzt er besonders: "Die Strecke am Baldeneysee ist herrlich. Da kannst du schnell laufen und die Natur genießen." Einen Traum hat Georg Wagner noch. "Ich will den Swiss-Marathon schaffen", sagt er. Swiss-Marathon, das sind sieben Tagesetappen zwischen 37 und 53 Kilometern mit einer Gesamthöhendifferenz von über 8000 Metern. Ein verrückter, aber harter Hund, dieser Georg Wagner.

© waz essen, thomas lelgemann