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Syltlauf, Hörnum-List, 17.03.2002              mehr stories

   


Plattdütsch statt Schicki-Micki 
Ein Syltbesuch im Lauftempo 

Meine Sylt-Kenntnis beschränkte sich auf einen sommerlichen Tagesausflug von Föhr aus. Und meine Vorurteile waren gefestigt. Viele Menschen, bedroh- te Natur, noch mehr Schicki-Micki, gepfefferte Preise, Strandbesuch nur gegen Bargeld.

Aber irgendwas muss doch dran sein. Lange Läufe sind fürs Marathon-Training nötig, und sie immer nur zu Hause zu machen, kann sich abnutzen. Also warum nicht Sylt im März laufend in ganzer Länge sehen, über 33,333 km beim in Läuferkreisen schon legendären Syltlauf.

Schon im November bestellte ich die Ausschreibung. Zu spät. Post- wendend kam die Antwort: ausge- bucht, und zwar seit Monaten. Damit war der Termin gestrichen, aber nicht vergessen. Zwar wirkte die Ausschreibung nicht gerade attraktiv. Zu einem pastorenhaften Grusswort schaut ein nicht über- mäßig freundlich dreinblickender Cheforganisator den Leser an.


Franz Beilmann
(Foto: syltlauf.de)

Dass der Franz in Wirklichkeit ein verschmitztes Lächeln im Gesicht trägt, merkt man erst, wenn man ihn selbst erlebt.

Die Einladung ist gespickt mit Warnungen, Verhaltensregeln, Ge- und Verboten. Fast könnte man zwischen den Zeilen lesen: Bleibt zuhause, wir sind schon genug. Warum nur ist dieser Lauf so beliebt? Irgendwas muss doch dran sein.

Ein TopTen-Lauf - Abhaken der Vorurteile

Vergessen war der Termin nicht, und als ich in Helges Laufforen den Tipp las, doch einfach bei der Nudelparty nach freien Startnummern Ausschau zu halten, stand mein garnicht so spontaner Entschluss wenige Tage vor dem Lauf fest.

Das klappte auch wie am Schnürchen. Anreise mit Bahn-Sparpreis (99€), Hotelzimmer am Freitag noch telefonisch gebucht und keine 2 Minuten vor Ort, da hatte ich meine Startberechtigung. Der bedauernswerte Gerd H. aus List hatte sich am Tag zuvor das Hirn erschüttert und gab mir seine Nummer 714 zum Normalpreis. Teuer wurde es trotzdem, denn die Umschreibung kostete 20€ extra. Mit insgesamt 45€ für 33km gehört Sylt so auch bei den Preisen zu den TopTen-Läufen. Also schon mal ein  Vorurteil bestätigt.

Dieser kleine Schock wurde aber schnell verdaut mithilfe von höchst schmackhaften Nudelportionen. Der große Saal bietet Hunderten von hungrigen Läufern Platz an langen Tischen, wir werden mit Musik unterhalten, und als Höhepunkt erscheint eine Tanzgruppe, die alles andere als Folklore auf die Bühne fetzt und den Saal in Stimmung bringt. Hier merke ich bald, dass dies kein Touristen-Event, sondern eine Familientag der Läufergemeinde ist. Zum Wohlfühlen.

Veteranen im Nebel
Für Sonntagmorgen hatte ich mir sicherheitshalber zwei Wecker gestellt. Unnötig - ab 5 Uhr werde ich in kurzen Abständen immer wieder wach. Das Startfieber. Pünktlich um 08:20 Uhr steht der Bus schon am Bahnhof in Westerland bereit und bringt uns über eine neblige, nasskalte Südinsel nach Hörnum. Nach einer frostigen Nacht hat es sich jetzt auf 2° aufgewärmt. Im Kursaal ziehe ich mich wintergerecht um. Der Weg zum ca. 700m entfernten Start ist gleichzeitig die Warmlaufphase. Vom Hubwagen aus gibt Franz Kostproben seines Nordlicht-Humors. "Mein Tipp an die Ersttäter: Wir laufen in diese Richtung". Und als die Zeit zum Start knapp wird: "Die laufen sonst los, bevor ich was gesagt habe."

Ich stehe sehr weit vorne, aber hinter der allerersten Reihe geht es eher gemütlich auf die Strecke. Für die ersten km ist die Straße gesperrt, dann müssen wir auf den Radweg. Doch der ist hier so breit wie andernorts die Straßen. Vermutlich hat man sonst einen schönen Blick aufs Wattenmeer, heute aber zeigt sich Sylt eher als eintönige Nebelsuppe. Bis Westerland gehts über 15km weitgehend geradeaus. Der böige Wind kommt von Südost und schiebt uns von der Seite.

Ich hänge mich an zwei mollig warm angezogene Veteranen und lausche ihren Erfahrungsberichten von den Marathons der Welt. Und mein Respekt steigt und steigt: "... den Rennsteig lauf ich jetzt zum 16. Mal". Das Tempo ist mit 4:45min/km ein klein wenig schneller als geplant, aber der Puls bleibt unterm Limit. Ist das der Wind, oder ist meine Form so gut? Die alten Kämpen laufen gleichmäßig wie ein Uhrwerk. An der Verpflegungsstation nehmen sie sich aber mehr Zeit als ich. Jetzt muss ich zwar das Tempo allein halten, dafür geniesse ich die Ruhe. 

Ab und zu laute Anfeuerungsrufe der auf der Straße nebenher fahrenden Betreuer und die lebhaften Übergabe-Stationen für die 51 Staffeln bringen etwas Abwechslung in die lange Gerade im Dunst des Nebels.

Klatschmarsch auf der Kurpromenade
Dann biegen wir in Westerland auf die lange Strandpromenade ein und sind plötzlich zwischen Zuschauermassen. Nur eine schmale Gasse bleibt für die Läufer. Unwillkürlich ziehen wir das Tempo an. Wieder auf dem Radweg zurück, stimmt bei km 17 erstmals die Messung nicht. 10:56 für 2 km kann nicht sein, also ignorieren und einfach nach Gefühl weiterlaufen. Und richtig, der nächste km braucht nur 4:14, die Überlänge ist fast wieder ausgeglichen.

Das Publikum ist außergewöhnlich beifallsfreudig. Selbst einzeln stehende Zuschauer werden nicht müde zu klatschen und die Läufer aufzumuntern. Da hilft wohl auch die Urlaubsstimmung, und vielleicht die Kälte.

Die Aussicht in die Landschaft wird nicht besser. Ich suche mir andere attraktive Fixpunkte und laufe einige km hinter der späteren W40-Siegerin. Bald geht es in den Dünenbereich, und kurz hinter Kampen müssen die Beine sich umstellen. Unser Pfad ist plötzlich ein Gemisch aus Sand und Kiesel. Wir versuchen   eine festgetretene Spur zu finden, eher vergeblich. Dazu kommen einige mühsame Steigungen und der Richtungswechsel nach Ost. Das heißt, der kalte Wind bläst uns jetzt geradewegs ins Gesicht.

Zieleinlauf im Löwenkäfig
Jetzt zeigt sich, dass ich - ohne Kenntnis der Strecke - mir das Rennen doch gut eingeteilt habe. Mein Tempo pendelt um 5:00min/km. Zwar seh ich jetzt noch weniger - die Augen tränen -, aber überholt werde ich nicht mehr. Im Gegenteil, nach und nach schiebe ich mich an einigen Einzelkämpfern noch vorbei. 


das geräumige Zielgelände (Foto: von mir)

Auf den letzten Metern hilft uns das Gefälle, dann tauchen wir als laufende Zoo-Löwen in eine enge Gasse aus hohen Stellzäunen. Die Fans strecken die Arme durch das Gitter und spenden letzten Beifall. Ich höre was von "schlanke Taille". Meint sie mich? Oder sind das die Endorphine?


nur eine Richtung: der Zieleinlauf (Foto: von mir)

Mir ging es schon mal schlechter im Ziel. Mit einem Schnitt von 4:51 bin ich sehr zufrieden, sammle meine Medaille ein ("lewer duar üs Slaav"), nehme wirklich nur eine einzige Banane und wärme mich mit Muckefuck im immer voller werdenden Schulraum auf. Die Busse mit den Kleiderbeuteln stehen schon bereit, und die Kaserne nebenan bietet genügend und warme Duschen. Ich schaue mir noch eine Weile das Treiben an und lausche den Fachgesprächen, bevor mich der nächste Bus nach Westerland zurückbringt.

Was ist eine Breitensportkanne?
Wer die Insel aber dann sofort verläßt, versäumt einen weiteren Höhepunkt. Die Läufergemeinde trifft sich zum Ausklang wieder im großen Kursaal. Die mir bisher unbekannte Schleswig-Holstein-Hymne wird gespielt, und die nordischen Nicht-Sklaven stehen dazu auf. Die Verpflegung ist bestens - wenn auch jetzt nicht mehr im Preis -, die Stimmung super, die Reden nicht allzu lang, aber launig und auf plattdütsch, die Sieger werden gebührend gefeiert. Franz ("wer mich kennt weiss, dass ich nicht viele Worte mache") macht nochmal deutlich, dass es hier in erster Linie um Breitensport geht. Nicht nur die Sieger werden mit Pokalen und riesigen Milchkannen geehrt. Die beiden jüngsten Teilnehmer werden ihren Bühnenauftritt bestimmt nicht vergessen. Und die Kanne für den unbekannten Breitensportler wird verlost.

Dann wird noch eine besonders schöne Geschichte erzählt. Jörn Böhle aus Quickborn hat nicht nur dreimal den Syltlauf gewonnen (was macht der mit den ganzen Milchkannen?), er lernte dabei auch eine gewisse Mica Hanke aus Hamburg kennen. Und zwar so gut, dass sich die beiden schließlich an diesem Syltlauf-Wochenende im Westerländer Rathaus das Ja-Wort gaben. Natürlich im Kreise des veranstal- tenden TSV Tinnum 66.

Ergebnisliste und Urkunden sind auch schon fertig. Meine bewährten Maßstäbe weisen ein ordentliches Ergebnis für mich aus: nur 4 Frauen und zwei 65er vor mir.

Montagmorgen leih ich mir für 2 Stunden noch ein Fahrrad und schaue mir die vernebelte Landschaft  nochmal mit mehr Muße an. Wann ist nochmal der Termin fürs nächste Jahr? Es ist schon was dran, am Syltlauf und auch an dieser Insel.
 

nächster Termin: 21.03.2004
(schon wieder ausgebucht,
nur noch Restauslosung)
http://www.syltlauf.de


Foto: westerland.de

schöne Luftaufnahme von Volker Frenzel
(bei syltlauf.de)


 

Strand bei Westerland (Foto: von mir)
 

Franz im Hubwagen: "die laufen los, 
bevor ich was gesagt habe"
(Foto: syltpicture)


 
unterwegs von Hörnum
nach Westerland
(Fotos: syltlauf.de)


bisschen klein, aber noch erkennbar:
das Streckenprofil
(entnommen beim TSV Tinnum 66)




Ralf Heuss, LG Wedel Pinneberg,  
siegt letztlich überlegen und zum 4. Mal 
hintereinander: Das ist Rekord. 
Er blieb als einziger  unter 2 Stunden (1:58:37) 
Er könnte jetzt gut als Milchmann anfangen.
(Fotos: syltlauf.de) 

Dem Lokalmatador war der von vielen erhoffte 
Sieg nicht vergönnt: Dirk Henningsen vom 
TSV Tinnum 66 griff unterwegs mutig an und übernahm zeitweilig die Spitze, wurde dann aber auf den 8. Platz durchgereicht  (2:14:12).

In der Damen-Konkurrenz siegte Verena Becker 
vom THW Kiel ungefährdet in 2:20:18. Damit wäre sie selbst bei den Männern 26. im Gesamteinlauf geworden!

Syltlauf-Medaille 2002
Stolze Friesen: Lieber tot als unfrei.
 
 
Läufergemeinde in guter Stimmung: der Festsaal
(Foto: von mir)

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